Ganzheitliche Therapie bei krankhaftem Übergewicht
Im Adipositaszentrum werden Patientinnen und Patienten vor, während und nach dem Eingriff durch ein interdisziplinäres Team der Klinik für Abdominal- und Viszeralchirurgie und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie begleitet
Krankhaftes Übergewicht, die so genannte „Morbide Adipositas“, ist eine heimtückische Erkrankung. Ihre Ursachen können ebenso wie ihre Folgen vielfältig, schwerwiegend und belastend sein. Die operative Therapie sei die derzeit effektivste Behandlung, sagt Priv.-Doz. Dr. Achim Hellinger. Er ist Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Endokrine und Onkologische Chirurgie, in die das seit 2012 von der Fachgesellschaft „Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie“ zertifizierte Adipositaszentrum am Klinikum Fulda integriert ist. Die operative Verkleinerung des Magens und/oder eine zusätzliche „Umleitung“ der Nahrung durch einen Bypass zur Reduktion der Kalorienaufnahme sind dabei Standardverfahren. Doch auch nach einer erfolgreichen Operation müssen die Betroffenen ein Leben lang entschieden am nachhaltigen Erfolg der Behandlung arbeiten. „Dabei kommen nach dem Eingriff ganz neue persönliche und soziale Herausforderungen auf die Patienten zu“, sagt der Chirurg. Denn Adipositas sei nicht nur eine körperliche Erkrankung, sondern sie habe auch immer eine seelische Komponente, ergänzt Prof. Dr. Henrik Kessler, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Fulda.
Die Behandlung am Klinikum Fulda ist besser, als es die Leitlinie verlangt
Auf diese Umstände geht das Adipositaszentrum des Klinikums Fulda mit einem umfassenden Therapieangebot ein. Obwohl es in der strengen Leitlinie zur Behandlung von Adipositas und metabolischen Erkrankungen nicht vorgesehen ist, werden am Klinikum Fulda alle Patienten nicht nur vor, sondern auch – falls von ihnen gewünscht – nach der Operation durch die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie betreut. Das sei selten in Deutschland, verweist Dr. Hellinger auf eine weitere Stärke des Klinikums Fulda im Zusammenspiel der Begleitfaktoren für den Erfolg einer chirurgischen Therapie.
„Ein Gesprächsangebot, um einen neuen Blick auf das Leben zu gewinnen“
Neu ist somit die Begleitung der Patienten durch die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie auch nach dem Eingriff: Drei bis sechs Monate nach der Operation können sich die Patienten künftig in dieser Klinik vorstellen und bei Bedarf häufiger, damit sie ihr verändertes Leben nach der Operation positiv erfahren. „Wir sind keine Zauberer“, sagt Prof. Kessler, „aber die Psychotherapie ist unser Gesprächsangebot an die Patientinnen und Patienten zum Innehalten. Damit sie auf ihr Leben nach der Operation einen neuen Blick gewinnen und lernen, mit der veränderten Situation gut umzugehen.“
Ein Viertel der Menschen leidet unter morbider Adipositas
Unter krankhaftem Überwicht leidet etwa ein Viertel aller Frauen und Männer in Deutschland. Nach Angaben der Stiftung Gesundheitswissen tritt die Krankheit vor allem unter jungen Erwachsenen immer häufiger auf. Im Prinzip nehmen diese Patienten mehr Kalorien zu sich, als sie verbrauchen. Aber mit dem einfachen Hinweis, sie sollten weniger essen, ist es meist nicht getan. „Morbide Adipositas ist eine multifaktorielle Erkrankung“, sagt Dr. Meyanui-Bekeny Andangfung, Leiter des Adipositaszentrums: „Jeder Mensch hat eine bestimmte genetische Prädisposition und einen individuellen Stoffwechsel. Hinzu kommen Einflüsse durch z.B. Verhaltensfaktoren sowie Nebenwirkungen von Medikamenten, die eine Gewichtszunahme begünstigen können. Das zu hohe Körpergewicht wiederum belastet den Bewegungsapparat, führt zu Folgeleiden wie Diabetes und Bluthochdruck, aber auch zu einem immer höheren Körpergewicht, denn die Leibesfülle mindert die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten durch Bewegung Kalorien verbrauchen.
Manche Patienten leiden unter Essanfällen
Prof. Kessler beschreibt verschiedene „Essanfälle“, an denen manche der Patienten leiden: Beim „Binge-Eating“ nehmen die Betroffenen unkontrolliert Nahrung zu sich. Erst die völlige Erschöpfung oder die Rebellion des Magens, die zu Erbrechen führt, stoppen die Nahrungsaufnahme. Andere Formen sind „Night-Eating“ oder „Grazing“. Betroffene essen überwiegend nachts oder nehmen kontinuierlich den ganzen Tag über Nahrung zu sich. Die Gründe dafür sind vielfältig: Traurigkeit, eine seelische Erkrankung wie eine Depression oder eine lange zurückliegende traumatische Erfahrung können eine Rolle spielen, sagt Prof. Kessler und vergleicht die Dickleibigkeit mit einem den Menschen umgebenden Schutzraum.
300 Anfragen im Jahr nach einer Operation
Im Adipositaszentrum Klinikum Fulda gehen jedes Jahr etwa 300 Patientenanfragen zu einer gewichtsreduzierenden und/oder stoffwechselbeeinflussenden (z. B. Diabetes mellitus Typ II) Operation ein, berichtet Dr. Hellinger. „Allein schon die Reduktion des Körpergewichts kann dazu führen, dass der Diabetes und das Hochdruckleiden geheilt werden.“
Praktizierte Veränderungsbereitschaft ist ein Muss
Von den 300 anfragenden Patienten werden jährlich etwa 150 bis 200 operiert, denn eine Operation kann nur dann erfolgen, wenn allgemeine und medizinische Kriterien erfüllt sind. Dazu gehört auch eine psychologische Evaluation. Dr. Andangfung verweist auf das multimodale Konzept, das der entsprechenden sog. S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen“ zugrunde liegt. Der Patient muss sich einer Ernährungsberatung unterziehen und seine Ernährung tatsächlich umstellen. Ferner sind sekundäre organische, aber auch psychische Erkrankungen auszuschließen, die zur Adipositas führen oder diese begünstigen.
Bei 10 bis 20 Prozent der Patienten können nach der Operation psychische Probleme auftreten
Eine operative Verkleinerung oder Umgehung des Magens sei chirurgisch in der Regel machbar, sagt Dr. Hellinger, „nach der OP geht es den meisten Patientinnen und Patienten deutlich besser. Allerdings treten bei 10 bis 20 Prozent der Patienten psychische Probleme auf.“ „Auch wenn sie vor der Operation psychisch unauffällig waren, brauchen einige Patientinnen und Patienten nach der Operation weitere Unterstützung “, fährt Prof. Kessler fort. „Die enge Verknüpfung von Körper und Seele ist den Menschen oftmals nicht bewusst“, Die „optimistische-Phase“ nach einer metabolisch-bariatrischen Operation, dauere etwa ein bis zwei Jahre an. Manchmal werden erst danach psychische Probleme sichtbar.
Kompetente Begleitung in guten wie in schlechten Tagen
Um dem einzelnen Menschen zu helfen, der die Adipositas überwinden möchte, setzen Prof. Kessler und das multidisziplinäre Team des Adipositaszentrums auf die Begleitung der Patienten durch die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie auch nach dem Eingriff.
Zentrale Anlaufstelle des zertifizierten Adipositszentrums am Klinikum Fulda ist die Ambulanz der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, mit der dort angebotenen Adipositas-Sprechstunde. Dort erfolgt die Beratung und Information über Behandlungsmöglichkeiten und eine eventuell erforderliche Operation sowie die Nachsorge der Patienten nach einer gewichtsreduzierenden bzw. metabolischen Operation.