IRIS REMMERT. VOM GEMEINSAMEN ARBEITEN AUF DER STATION UND DER KRAFT AUS DEM ZUSAMMENHALT UNTER DEN KOLLEGEN
Als Kind wollte Iris Remmert Tierärztin werden, bald aber schon Krankenschwester. Sie nennt diese Berufsbezeichnung bewusst und mit Stolz. Sie weiß nicht mehr genau, was sie schon als Jugendliche für den Beruf brennen ließ.
Vielleicht, sagt sie, habe ihre Cousine, die auch Krankenschwester ist, sie angesteckt.Jedenfalls wollte Iris Remmert das Domgymnasium in Fulda am liebsten schon nach der zehnten Klasse verlassen, um die Ausbildung zu beginnen. „Aber das war keine Option“, sagt sie, „denn meine Eltern legten ihr Veto ein.“ Zudem betrug die Wartezeit, an einer Krankenpflegeschule für die begehrte Ausbildung aufgenommen zu werden, damals ein bis zwei Jahre, die gut mit dem Besuch der Oberstufe bis zum Abitur zu überbrücken waren. Im Oktober 1989 begann Iris Remmert ihre Ausbildung im Klinikum Fulda, und bis heute ist sie im Beruf geblieben, immer auf der neurochirurgischen Station, der Klinik für Neurochirurgie, die von Prof. Dr. Robert Behr geleitet wird, denn „man kriegt so unheimlich viel zurück“ – aber sie ist auch bereit, viel zu geben.
Der Sonnenschein ist wieder da.
„Es ist jeder Tag anders. Alles auf Station kann sich von Minute zu Minute ändern“, sagt die Krankenschwester. Das wichtigste ist ihr die Pflege, die Zeit, die sie mit den Patienten verbringt. Manche Patienten begrüßten sie mit den Worten: „Der Sonnenschein ist wieder da.“ Und erst jüngst habe ein Patient gesagt, als sie an sein Bett trat: „Schön, dass ich Schwester Iris sehe.“
Warum passiert mir das?
Nicht wenige Patienten auf ihrer Station seien sehr krank, litten an gut- oder bösartigen Hirntumoren, und ihr komme es vor, als würden diese Patienten immer zahlreicher und jünger. Es sei vor allem dann schwer, wenn junge Menschen mit kleinen Kindern betroffen sind. Dazu kommen auch immer mehr Patienten, die deutlich älter seien als noch vor einigen Jahren, und die zugleich an mehreren Erkrankungen litten. Die Menschen, beobachtet Iris Remmert, gingen mit ihren Erkrankungen nicht anders um als die Patienten vor 30 Jahren.
Sie fragten sich: Was wird mit mir? Ob ich die gelähmte Seite wieder bewegen kann? Nicht wenige haderten mit ihrem Schicksal: „Warum passiert mir das?“ Wieder andere wollten gar nicht über ihre Erkrankung sprechen. Geändert habe sich aber schon, wie sich viele Patienten – aber auch nicht alle – informierten – über das Internet. Die Verantwortung, die Iris Remmert für ihre Patienten verspürt, ist nach ihren Worten dieselbe wie damals, „aber die Arbeit, die ändert sich.“ Früher haben die Pflegekräfte zum Beispiel die Essenswünsche mit aufgenommen, Wege ins Lager erledigt, Patienten mit den Betten zu anderen Abteilungen oder zum OP gefahren. Heute gebe es dafür immer mehr Servicekräfte, um Arbeitsabläufe zu optimieren. Doch Iris Remmert fällt es schwer, ihre Patienten loszulassen und einen Patienten nicht selbst auf dem Weg zum OP zu begleiten:
„Denn die neurochirurgischen Patienten, das sind ganz besondere Patienten.“
Sie haben Angst, und ich möchte ihnen diese Angst lindern, indem ich bei ihnen bleibe bis zur Schwelle des OP.“ Parallel mit der Einstellung der Servicekräfte sei die Zahl der Pflegenden gesenkt worden. Auch gebe es nur noch sehr wenige Bewerbungen auf freie Stellen. Pflegekräfte seien rar geworden. Statt vier bis sechs examinierte Schwestern seien es zum Beispiel im Frühdienst nur noch drei: „Wenn dann jemand von uns krank wird, dann wird es eng. Aber wir können uns aufeinander verlassen und springen füreinander ein.“
Anteil am Schicksal der Patienten
Zeit zum Zuhören, sagt Iris Remmert, habe sie zum Beispiel bei der Körperpflege der Patienten, obwohl das Team auf der Station nie ohne Zeitdruck arbeite. „Doch es gibt auch Momente, da nehme ich mir mehr Zeit, und die Kollegen halten mir den Rücken frei. Wir sind ein gut eingespieltes Team. Das gibt Kraft. Denn wenn wir Patienten pflegen, dann nehmen wir Anteil an ihrem Schicksal, und das zehrt auch an uns. Das Mitfühlen ist anstrengend. Und manches Gefühl nehme ich mit nach Hause. Die Kraft ziehen wir aus dem Zusammenhalt unter den Kollegen. Wir arbeiten zusammen. Und gemeinsam machen wir auch Blödsinn, und das gemeinsame Lachen, Es gebe freilich auch die Patienten, die viel Zeit in Anspruch nehmen, und bei denen man das Gefühl habe, ihren Ansprüchen nicht ausreichend gerecht zu werden. Auch für diese findet Schwester Iris einen Ausweg: „Ich wusste, eine der Patientinnen hatte den nächsten Tag Geburtstag. Da habe ich von zu Hause ein paar Krönchen und Luftschlangen eingepackt. Wir haben uns im Frühdienst mit den Kronen, den Luftschlangen und LED-Echtwachskerzen vor dem Bett der Patientin aufgestellt und gesungen:
,Viel Glück und viel Segen‘.
Die Frau, die sonst antriebsarm im Bett lag, riss es sofort hoch, sie klatschte und sang mit, und ich stand daneben und hatte Tränen in den Augen. Bei uns gibt es keinen Dienst nach Vorschrift.“ Verständnis hat Iris Remmert auch für die Ärzte, für die Neurochirurgen, die stundenlang am OP-Tisch stehen, um einen Patienten zu operieren. „Wenn sie dann zurück auf die Station kommen, und sofort von allen mit Fragen überfallen werden, dann denke ich mir manchmal: Halt. Lasst sie doch einen Moment innehalten. Sie brauchen doch auch Mal ein wenig Zeit, um Abstand zu gewinnen. Aber da ist der Rhythmus in einem Krankenhaus manchmal gnadenlos, denn es geht immer um Menschen, die leiden.“
Anerkennung für Spitzenleistung bei täglichen Herausforderungen
Wenn Iris Remmert gegenüber Fremden von ihrem Beruf erzählt, dann hört sie meistens ein respektvolles „Wie du das kannst? Ich könnte das nicht.“ Wenn sie jedoch etwa in den USA in einem Gespräch mit anderen ihren Beruf nenne, sei die Anerkennung weitaus größer als in Deutschland. „Wenn ich mich frage, ob ich als Krankenschwester genug Anerkennung erhalte, dann sage ich mir: Passt schon! Das reicht mir! Wenn mich aber heute eine junge Frau fragt, ob sie wie ich dieser Berufung folgen solle, dann antworte ich: Überleg dir das gut. Dass wir bei der Spitzenmedizin, die wir im Klinikum Fulda leisten, fachlich, also medizinisch und pflegerisch, spitze sein müssen, ist doch selbstverständlich, darüber will ich gar nicht reden. Hingegen bleiben die Menschen mit ihren Sorgen, Ängsten und Bedürfnissen gleich. Doch die Zeit für diese Patienten wird immer weniger, denn wir behandeln immer mehr Patienten in kürzerer Zeit. Die Liegedauer sinkt. Das ist medizinisch-technisch ein großartiger Erfolg, aber wie gehen wir damit Tag für Tag von Mensch zu Mensch um? Das ist oft mehr als eine technische Herausforderung.“
Freude über INO-Zentrum
Auf den Umzug ihrer Station in den Neubau freut sich Iris Remmert: „Wir alle freuen uns, denn wir erhalten die Chance, in unserem Klinikum den Patienten noch mehr zu bieten. Zudem machen die komfortableren Räumlichkeiten den Aufenthalt für den Patienten angenehmer. Denn es geht durchaus um Dinge wie die Dusche im Zimmer und den Fernseher neben dem Bett. Es mag unverständlich klingen. Wir helfen Menschen, die schwer krank sind und die eigentlich ganz andere Sorgen haben. Doch in solchen Situationen ist der Fernseher für die Patienten wichtig.“ Iris Remmert ist sich mit den Kollegen einig: Es gehe um die Berufung, die hinter der Art und Weise stehe, wie sie ihre Arbeit verrichten in einem von den Anforderungen der Medizin dominierten System.