Klinikum Fulda erweitert sein Angebot für die gesamte Region: Neues Zentrum für Palliativmedizin am Klinikum Fulda
Im Klinikum Fulda hat das Team von Dr. Sebastian Schiel in einem dreiviertel Jahr das Zentrum für Palliativmedizin aufgebaut. Für Schiel als dessen ärztlichem Direktor ist es „ein großes und wichtiges Puzzleteil“, das die Palliativversorgung in der Region nachhaltig stärken wird.
Zum Team gehören 32 Fachleute aus zahlreichen Disziplinen. Es sind Ärzte, fachlich spezialisierte Pflegekräfte, Psychologen, Atemtherapeuten, Sozialarbeiter, aber auch Musik- und Kunsttherapeuten. Sie betreuen nicht nur die neue Palliativstation mit zehn Betten, sondern leisten ihren beratenden und begleitenden Konsiliardienst auch auf anderen Stationen und betreiben eine palliativmedizinische Ambulanz im Medizinischen Versorgungszentrum des Klinikums (MVZ). Dabei kooperieren sie – neben anderen – mit dem Palliativnetz Osthessen (PNO), das mit der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung schwer kranke Menschen sowie deren Angehörige in ihrer häuslichen Umgebung begleitet und mit der Palliativstation der Helios St. Elisabeth Klinik in Hünfeld. Ein weiteres Etappenziel ist für Dr. Schiel der Aufbau einer tagesklinischen Struktur: „Manche Patienten sind zu krank, um unter ihren individuellen Lebensumständen ausschließlich ambulant versorgt zu werden, aber zugleich zu gesund, um ausschließlich stationär versorgt zu werden. In der Tagesklinik wären die Patienten tagsüber vollumfänglich palliativmedizinisch versorgt und könnten abends nach Hause gehen. Eine Tagesklinik wäre das sektorenübergreifende Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.“ Der logische Schritt zur ganzheitlichen Versorgung Der Aufbau des Palliativzentrums ist für Schiel „der logische Schritt zur Vervollständigung eines ganzheitlichen medizinisch-pflegerischen Angebots im Klinikum und in der Region“. Denn das Klinikum Fulda, das als kommunales Haus allen Bürgern gehöre, habe den Auftrag, die Bevölkerung in allen Lebenslagen zu versorgen. „Hier kommen Kinder zur Welt, hier wird Menschen in Phasen von Krankheit geholfen und auch am Ende des Lebens wird man hier versorgt. Eine gute Palliativversorgung, das ist die Aufgabe, für die wir brennen. Es ist eine vollkommen erfüllende Aufgabe. Ich habe beruflich alles andere dafür aufgegeben“, sagt Schiel. Vor seinem Wechsel nach Fulda hatte Schiel mit einem Partner eine der größten Praxen für Allgemeinmedizin in Würzburg und war als Palliativmediziner am Universitätsklinikum Würzburg beschäftigt. „Der Einsatz in Krisengebieten hat für mich vieles relativiert“ Schiel ist in Oberbayern am Starnberger See aufgewachsen. Schon als Schüler kam er mit der Medizin in Berührung, als er – um sich Geld zu verdienen – auf einer Intensivstation putzte und später als Pflegehelfer tätig war: „Ich habe schon immer nah am Menschen gearbeitet. Die Kombination aus Naturwissenschaft und der Nähe zum Menschen führte mich zur Medizin.“ 1995 trat Schiel als Sanitätsoffiziersanwärter in die Bundeswehr ein, studierte dort Medizin und absolvierte mehrere Auslandseinsätze. Im Kosovo war er Berater des Befehlshabers der Nato-Truppen, hatte Führungsverantwortung für eine multinationale Einheit von Sanitätern und Ärzten und war stellvertretender Leiter der deutschen Sanitätskräfte im Kosovo. Es explodierten Handgranaten und Nagelbomben, Nachbarn, die zuvor in Frieden gelebt hatten, sprengten sich ihre Häuser gegenseitig in die Luft, und Menschen wurden von anderen wie zum Zeitvertreib erschossen. „Ich kenne die Sniperallee in der wunderschönen Stadt Sarajevo, und ich erlebte eine für uns unvorstellbare Armut, so dass sich fortan vieles für mich relativierte“, berichtet Schiel. „Angst vor den Schmerzen muss keiner mehr haben“ In Deutschland absolvierte er eine Ausbildung zum Psychotherapeuten, die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin, und er wandte sich schließlich – mit einer weiteren Weiterbildung – der Palliativmedizin zu, denn „die Medizin ist mehr als nur ein Fach“. Die Palliativmedizin biete die „ganze Bandbreite dessen, was ich als Medizin betrachte“, sagt der Arzt. Und die Palliativversorgung sei schon gar nicht die Endstation, sondern sie setze ein, wenn die Heilung nicht mehr das oberste Ziel der Behandlung sei, sondern die Kontrolle und Linderung der Symptome. „Eine gute Symptomkontrolle ist unser basales Handwerk. Das beherrscht man auch. Die meisten Menschen leiden dank unserer Behandlung keine Schmerzen oder verspüren zumindest immer eine deutliche Linderung. Auch wenn Menschen sehr, sehr krank sind: Angst vor den Schmerzen muss keiner mehr haben.“ Die palliativmedizinische und -pflegerische Begleitung eines Menschen, sagt Schiel, könne ein Prozess von Jahren sein. Doch unabhängig von der Dauer des Prozesses stehe stets „der ganze Mensch, für den ich mir alle Zeit nehmen kann“, im Mittelpunkt: „Ich kann viel bewirken, indem ich die Symptome der Krankheit lindere, und ich kann viel bewirken, indem ich gemeinsam mit dem Patienten auf seine Biographie blicke, indem ich seine Geschichte wertschätzend begreife und versuche, Sinn zu spenden. Ich steige zum Patienten ins Boot, wenn er in seiner Hinfälligkeit Hilfe suchend der Situation ausgeliefert ist, und ich bleibe im Boot. Und wir alle versprechen dem Patienten: Wir verlassen dich nicht, egal, was in diesem Leben noch kommt.“ Irgendwann komme freilich der Moment des Loslassens. Das Palliativteam wolle die Patienten und ihre Angehörigen dorthin führen, wo sie loslassen können. Das Loslassen falle sehr schwer, wenn eine junge Frau in ihren Zwanzigern sterbe, indes sich der 94-jährige am selben Tag wie mit einem Boot „regelrecht selbst abgestoßen“ habe. Von Traurigkeit und Erfüllung am Ende des Lebens Viele Dinge im Leben, berichtet Schiel, erschienen den Menschen lange Zeit banal – wie etwa die Erziehung der Kinder. In einer leistungsorientierten Gesellschaft zählten andere Aufgaben mehr. Am Ende des Lebens seien den Menschen aber ganz andere Dinge wichtig als zuvor. Dann zählten Familie und Freunde: „Die traurigsten sind die, die ganz einsam sind“. Ganz schlimm sei es für Menschen, wenn ihre Kinder vor ihnen verstorben seien, wenn die noch lebenden Kinder keinen Kontakt mehr zu den Eltern wollten oder „wenn der Krankheitsverlauf so rasch ist, dass man nicht hinterher kommt“. Das Palliativteam begleitet den einzelnen Menschen auf dem Weg, sich mit seinem Schicksal auseinanderzusetzen. Das gelinge, wenn der Einzelne alle seine Gefühle zulasse – von Trauer, über Wut und Verzweiflung bis zum Negieren des Befunds und dem Verhandeln. Es gebe alle möglichen Emotionen und keine feste Reihenfolge, in der sie kommen. Selbstdisziplin, das „Zusammenreißen“, stehe der Auseinandersetzung bisweilen im Weg. Am Ende der Auseinandersetzung mit dem Schicksal steht die Akzeptanz dessen und das erlösende Loslassen können. „Akzeptanz heißt, den Frieden gefunden zu haben“, sagt Schiel, „und im Idealfall kann der Angehörige den Patienten gehen lassen, und das spürt der Patient auch“. Auf der Palliativstation wird auch gelacht Auf der Palliativstation wird gelacht. „Wirklich viel sogar“, sagt Schiel. Vor allem aber gelte: „Alles ist erlaubt!“ Die Patienten dürfen schlafen so lange sie wollen, dürfen am Klavier oder mit der Playstation spielen, sich mit Angehörigen in einem Wohnzimmer treffen, mit ihnen feiern und essen, ein Bett für einen Besucher und Begleiter ins Zimmer schieben lassen, und sie dürfen heiraten, weil das manche endlich auch noch wollen. In den Kühlschränken auf der Station und in den Zimmern gibt es Limonaden, diverse Biersorten und verschiedene Weine. Es gibt fast alles, und nahezu keine Verbote. „Die Menschen leben bei uns so, wie sie eigentlich schon immer hätten leben wollen oder sollen“, sagt Schiel. „Wir können für unsere Patienten noch sehr viel tun“ |
Die Palliativmedizin und Palliativpflege sei stets ein Teil der Medizin gewesen, aber die Medizin des 20. Jahrhunderts habe die Heilung als wichtigstes Therapieziel ganz nach oben gestellt. „Dann hieß es: Der Patient, der nicht geheilt werden kann, für den können wir nichts mehr tun. Diesen Satz gibt es bei uns gar nicht“, sagt Schiel: „Wir können für unsere Patienten noch sehr viel tun, und es ist vielleicht das wichtigste im Leben, was wir für sie und mit ihnen gemeinsam tun. Wir helfen ihnen, ihr Leben in Würde zu vollenden und im Rückblick einen Sinn zu finden.“