Die Geschichte von Johanna Meiser „Wir haben das Gefühl, dass das ABI nur sehr wenig bekannt ist“
Johanna Meiser leidet an Neurofibromatose Typ 2 (NF2), einer gutartigen Tumorerkrankung, die die Nerven befällt. Johanna Meiser verlor durch NF2 auch ihr Gehör. Dank eines Auditory Brainstem Implantat (ABI), das ihr Professor Dr. Robert Behr 1999 implantiert hat, kann sie – trotz aller Einschränkungen – wieder hören und sogar Gespräche mit Menschen in verschiedenen Sprachen führen. Claus Peter Müller v. d. Grün sprach mit Johanna Meiser in Ratingen. „Wir haben das Gefühl, dass das ABI nur sehr wenig bekannt ist“, urteilen Johanna Meiser und ihr Ehemann Jörg, obwohl es einen „massiven Zugewinn an Lebensqualität“ bringt. Lesen Sie das ganze Interview:
Als Ihre Krankheit 1995 begann: Welche Symptome haben Sie bemerkt?
Mit Bezug auf das Gehör gab es keine Symptome. Vielmehr gab es durch die Tumore in der Wirbelsäule erhebliche Schmerzen im Brustkorb. Es fühlte sich an, als hätte jemand einem ein Messer in die Brust gedrückt. Darüber hinaus haben wir Gleichgewichtsstörungen bemerkt, diese aber nicht als „Problem“ realisiert. Beim Joggen bin ich zum Beispiel immer wieder gegen meinen Mann gestoßen, der sich – natürlich im Spaß – über diese Unsportlichkeiten beschwert hat.
Wie hat die Diagnose NF 2 Ihr Leben verändert?
Nach einer solchen Diagnose ist man zunächst geschockt. Allerdings hat man zunächst auch keine Idee, was die Krankheit wirklich bedeutet. Wenn man sich dann etwas über NF2 informiert, wird einem irgendwann klar, wie groß das Problem tatsächlich werden kann. Und dann weiß man immer noch nicht, dass auch die bereits entfernten Tumore immer wieder aufs Neue wachsen können.
Im Fazit hat die Krankheit mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt, und alle Zukunftspläne waren zunichte.
Wie lange dauerte es, bis die richtige Diagnose gestellt und die passende Therapie gefunden war?
Die vorhandenen Symptome haben nicht direkt auf NF2 hingewiesen. Meine Vermutung war eher, dass es irgendetwas mit dem Knochengerüst oder den Bandscheiben zu tun haben musste. Die verschiedenen – wegen der Schmerzen im Brustkorb – konsultierten Ärzte kamen zu keiner Diagnose. Problematisch war, dass einige Ärzte die Beschwerden nicht wirklich ernst genommen haben. Einmal musste ich mir den Kommentar anhören: „Einen gelben Schein bekommen Sie dafür aber nicht“. Ich wollte eigentlich nur, dass diese Schmerzen aufhören.
Der letzte Versuch, einen weiteren Arzt zu konsultieren, war daher der Internist meiner Eltern, Dr. Tinnefeld. Mein Mann war nicht überzeugt, dass ein Internist der richtige Arzt für meine Symptome sei, was mich aber nicht von einem Besuch abgehalten hat. Dr. Tinnefeld nahm mich wirklich ernst und meinte, wenn es Symptome gibt, muss es auch eine Ursache geben. Er hatte direkt beim Betreten des Sprechzimmers meinen schwankenden Gang bemerkt und dachte zunächst an Multiple Sklerose (MS). Dr. Tinnefeld meinte, wir fangen am Kopf mit den Untersuchungen an und hören bei den Füßen auf. Nach dem ersten MRT in der Radiologie Dortmund, wurde am 8. Januar 1996 die Diagnose NF2 gestellt. Im Anschluss an diese Diagnose verbrachte ich mehrere Tage in einer Klinik in Hagen. Dort wurde die Diagnose dann bestätigt.
Vom Auftreten der ersten Schmerzen bis zur Diagnose NF2 verging ungefähr ein Jahr.
Welche Rückschläge mussten Sie hinnehmen? Welche Hoffnung trieb Sie an?
Die größten Rückschläge waren sicherlich, die durch die ersten beiden Operationen verursachten Lähmungen im Bein und im Gesicht. Nach der ersten OP habe ich zunächst im Rollstuhl gesessen und erst mit viel Training das Laufen wieder lernen müssen. Bei der zweiten OP wurde mein Gesichtsnerv der linken Gesichtshälfte zerstört, wodurch es zu einer bleibenden Gesichtslähmung kam. Es war wahrscheinlich, dass bei der OP des rechten Akustikusneurinoms das Gehör nicht zu erhalten sein wird. Herr Dr. Tinnefeld hat daher empfohlen, so lange wie eben möglich, mit dieser OP zu warten. Die Hoffnung war, dass es gelingen würde, Methoden zu finden, die die zu erwartenden Beeinträchtigungen mindern könnten.
Zum Glück sind meine Tumoren in der Regel langsam wachsend, was uns etwas mehr Zeit für Recherchen gab. Nach den ersten beiden OPs war ja bereits abzusehen, was alles passieren kann. Umso mehr gab es den Wunsch, die Einschränkungen, die durch die Entfernung der Tumoren möglicherweise eintreten, möglichst zu verhindern oder aber zumindest abzuschwächen.
Wie fanden Sie Prof. Dr. Behr?
Ende der 1990-iger Jahre war es noch deutlich schwieriger, im WorldWideWeb brauchbare Informationen zu finden. Daher dauerte es auch etwas, bis Dr. Tinnefeld und mein Mann fast zeitgleich Informationen zum ABI fanden. Herr Dr. Tinnefeld hatte auch herausgefunden, dass es in Hannover, Würzburg und Köln die Möglichkeit der ABI-Versorgung gäbe. Da Köln am nächsten war, haben wir uns dort einen Termin geholt und haben dort zum ersten Mal Professor Behr getroffen. Professor Behr war erst kurz zuvor von Würzburg an das Uniklinikum Köln gewechselt.
Wie half Ihnen Prof. Dr. Behr?
Professor Behr teilte mir mit, dass ich eine geeignete Kandidatin für ein ABI wäre. Um das Gehör machte sich Professor Behr weniger Gedanken, da es, wegen der Größe, die der Tumor bereits hatte, wohl unweigerlich durch die OP verloren gehen würde. Das Gehör hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch schon deutlich verschlechtert. Der Gleichgewichtssinn würde jetzt wohl auch nicht mehr funktionstüchtig sein, so die Vermutung von Professor Behr, und in seinem Fokus stand daher, den Gesichtsnerv der gesunden Gesichtshälfte zu erhalten. Eine beidseitige Gesichtslähmung hätte zu massiven Problemen geführt, was mir zuvor überhaupt nicht so bewusst war. Für mich war das größte Risiko, dass ich nach der OP nicht mehr hören konnte. Dank Professor Behr gab es hierfür als Alternative das ABI. Die Technik des ABI wurde uns detailliert beschrieben und ich habe mich anschließend für die Implantation des ABI entschieden. Die OP wurde am 20. September 1999 durchgeführt.
War nach der OP und der Implantation Geduld gefordert?
Ja, denn nach der OP musste für einen Zeitraum von 6 Wochen erst die Wundheilung abgewartet werden, bevor eine Aktivierung des ABI möglich war. Ohne Kenntnis von Gebärdensprache waren mein Mann und ich komplett auf schriftliche Unterhaltungen angewiesen. Wir haben zum Beispiel eine Magnetschreibtafel für Kinder angeschafft und auch versucht, mit einem Texterkennungsprogramm auf einem Notebook zu kommunizieren. 1999 war das natürlich noch nicht sehr weit entwickelt, es war aber doch sehr hilfreich.
Wie kam schließlich Ihr Gehör zurück? Mit einem Mal? Oder nach einer langen Phase des Trainings?
Die Elektroden des ABI werden direkt am Hirnstamm platziert. Da einzelne Elektroden auch ganze Bereiche und einzelne Nerven stimulieren könnten, die für lebenswichtige Funktionen zuständig sind wie den Herzschlag und die Atmung, wurde das ABI in Köln ambulant in einem Operationssaal aktiviert. Bei der Aktivierung mussten zwei Elektroden abgeschaltet werden, aber schon im OP konnte ich direkt wieder Stimmen und Worte erkennen. Die Stimmen klangen alle ein wenig wie die von Donald Duck, aber das war eher nebensächlich. Als ich das erste Mal nach der Aktivierung meinen Mann traf, konnte ich ihn direkt verstehen. Seine Stimme hörte sich wie früher an, allerdings deutlich schwächer und dumpfer.
Nach der erstmaligen Aktivierung des ABI erfolgten regelmäßige Termine zur Feinabstimmung des ABI bei Professor Walger und Dr. Meister, was zur weiteren Verbesserung der Höreindrücke führte.
Und wie hat sich seither Ihr Leben verändert?
Zunächst einmal ist es toll, nach der Ertaubung wieder hören zu können. Morgens nach dem Aufwachen lege ich das ABI als erstes an, und erst unmittelbar bevor ich schlafen gehe, schalte ich es wieder aus.
Ich kann mich gut mit anderen Menschen unterhalten, allerdings bin ich dabei auf Hören und Lippenlesen angewiesen. Deutliche Aussprache der Gesprächspartner ist auch sehr hilfreich, nicht laut, aber deutlich. Viele Menschen haben aber Probleme, sich hierauf einzustellen. Kleinigkeiten wie zum Beispiel ein Bart können dazu führen, dass die Verständigung deutlich schwieriger wird. Dann fehlt zum Hören das Lippenbild.
Es ist auch sehr schwierig, sich in einer Gruppe zu unterhalten. Hier wird oft durcheinander gesprochen und man verliert bald den Zusammenhang und nimmt dann oft nicht mehr an den Gesprächen teil.
Ich kann auch keine Musik mehr hören, und Fernsehen geht nur mit Untertiteln, die es mittlerweile zum Glück auf vielen Sendern gibt. Der Besuch des Kinos oder anderer Veranstaltungen sind somit auch nicht möglich. Ich kann leider auch nicht die beispielsweise in Museen oft angebotenen Magnetspulen nutzen.
Bei all diesen Einschränkungen ist das ABI aber ein Gerät, dass die Lebensqualität deutlich verbessert. Ich kann mich im Laden, in der Apotheke, beim Arzt und überall mit den Leuten verständigen, ohne ständig etwas aufschreiben zu müssen. Wenn ich Zuhause ein Geräusch höre, schaue ich zunächst auf meinen Hund. Läuft er zur Tür, hat es geklingelt. Macht der Hund nichts, ist vielleicht etwas runtergefallen oder im Durchzug eine Tür zugeschlagen. Es gibt so viele Situationen, wo das ABI hilft. Draußen kann ich Geräusche hören, die zum Beispiel von einem Auto oder einer Fahrradklingel kommen, und ich kann mich dann entsprechend orientieren. Oder mich hat jemand angesprochen, dann höre ich nicht die Worte, aber die Geräusche und ich kann entsprechend reagieren.
Was wünschen Sie sich, müsste besser werden, damit noch mehr Menschen wie Ihnen geholfen werden kann?
Wir haben das Gefühl, dass das ABI nur sehr wenig bekannt ist. Dies ist auch bei Ärzten der Fall, die normalerweise das Cochlea-Implantat kennen, vom ABI aber noch nichts gehört haben. Ich weiß nicht, bei welchen sonstigen Krankheiten und Hörverlusten das ABI angewendet werden kann, aber zunächst ist es wichtig, dass Neurologen, Neurochirurgen, HNO-Ärzte und andere Ärzte von dieser Möglichkeit erfahren. Nur so ist es möglich, dass auch anderen Menschen mit dem ABI ein sehr großes Stück Lebensqualität zurückgegeben wird.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen. Die Kostenübernahme des ersten Implantats war lange nicht sicher, aber Professor Behr hat uns mit diesem Thema nicht belastet. Erst nach der OP haben wir – eher zufällig – darüber gesprochen und kurz danach bekamen wir erst das Schreiben der Krankenkasse, dass die Kosten übernommen werden.
Nachdem das erneut gewachsene Akustikusneurinom auf der linken Seite so groß geworden war, dass es entfernt werden musste, schlug Professor Behr vor, auch auf dieser Seite ein Implantat einzusetzen. Die Zusage der Krankenkasse gestaltete sich sehr schwierig und war nur durch die Unterstützung eines spezialisierten Rechtsanwaltes erfolgreich. Die Implantation des zweiten ABI brachte bei mir leider nicht den gewünschten Erfolg. Schaut man aber auf die Erstversorgung, ist es nicht nachvollziehbar, warum die Krankenkassen einer Kostenübernahme skeptisch gegenüberstehen. Ist die Versorgung erfolgreich, hat der Mensch einen massiven Zugewinn an Lebensqualität.